Heinrich Hoffmann-Donner

Heinrich Hoffmann



auch: Polykarpus Gastfenger, Heulalius von Heulenburg, Reimerich Kinderlieb, Peter Struwwel







Geboren am 13.06.1809 in Frankfurt am Main;

gestorben am 20.9.1894 in Frankfurt am Main

Der Sohn eines Architekten und städtischen Bauinspektors studierte Medizin in Heidelberg und Halle. Nach der Promotion (1833) und einem Fortbildungsaufenthalt in Paris errichtete er 1835 eine Praxis in Frankfurt/M. und wurde Leicheninspektor in Sachsenhausen. Von 1844 bis 1851 war er Anatomiedozent am Senckenbergischen Institut. In dieser Zeit beteiligte er sich an einer Armenklinik und wirkte an der Gründung eines »Ärztlichen Vereins« mit; 1848 saß er als bürgerlicher Liberaler im Frankfurter »Vorparlament«. Von 1851 bis 1888 war er als leitender Arzt in der »Anstalt für Irre und Epileptische« tätig; er erwarb sich beachtliche Verdienste um die Entwicklung der Jugendpsychiatrie.
Sein Werk wie auch diese Kurzbiografie sind bei http://gutenberg.spiegel.de/?id=19&autorid=281&autor_vorname=+Heinrich&autor_nachname=Hoffmann&cHash=b31bbae2c6 zu finden

























...
Die Mondzügler

Prologus

Der Kirchhof zu Mölln im Lauenburgischen.
Till Eulenspiegels Grab.
Merkur(an Tills Grabe)

Hervor! Du Siebenschläfer, du!

Wach auf aus deiner langen Ruh!
– Da steh ich fast schon eine Stund
Und schreie mir die Kehle wund;

Der Schalksknecht aber liegt und schnarcht.
Das heiß ich mir bequem gesargt!
Fünfhundert Jahre, sollt ich meinen,
Sind Ruh genug den faulsten Beinen.

Zu Lauenburg gilt zwar der Spruch:
Ein braver Mann schläft nie genug. –
He Holla! Hörst du gar nicht, Till,
Daß jemand mit dir sprechen will?

Till
(schaut aus dem Grabe)

Herr Jemand, schon die ganze Zeit
Vernehm' ich, wie ihr lärmt und schreit.

Merkur
Ei schön! Du schweigst und hörst mich an!

Freund Till, du bist ein Grobian!

Till
Herr Jemand, seid mir doch nur klug!

Auf euch wart ich schon lang genug;
Nun ließ auch ich euch warten oben.
Wer hätt am meisten Grund zu toben?

Merkur
Ich seh, du hast den Witz, den alten,

Im Grab dir leidlich frisch erhalten.

Till
(vollends hervorsteigend)

Ha ha! Herr Jemand, wird's euch klar,
Warum ich so harthörig war?
Daß dieser Leib und dieser Kopf
Und Fuß und Hand und Bart und Schopf
Till Eulenspiegel angehören,
Jetzt könnt ihr's vor Gericht beschwören.
Ihr habt den Till vor euch, den rechten,
Den alten unverfälschten echten.
Nun aber sagt mir, wer ihr seid!

Merkur
Was, kennst du mich nicht an dem Kleid!

Till
An Kleidern tragt ihr nicht zu schwer;

Jedoch die Moden ändern sehr.
Ein luft'ger Vogel schreitet ihr
Einher mit eurer Flügelzier;

Doch jedenfalls hat diese Tracht
Ein Schuldenmacher ausgedacht;
Denn, wer euch borgt, der ist geprellt.
Man sieht, ihr zahlt mit Fersengeld.

Merkur
Ich bin Merkur, der Götterbot'.

Till
Der Diebsbeschützer in der Not?

Merkur
Davon ist nicht die Rede hier.

Till
Nun sprecht, was führt euch her zu mir?

Merkur
Sieh dort versammelt rings herum

Viel Volks! Man nennt es Publikum.
Das ist zusammen hier gelaufen,
Sich im Theater auszuschnaufen

Von all dem Rennen, all der Hast,
Von Tages Müh und Sorgenlast.

Nun will es Sitte und gute Zucht,
Daß, wer ein fremdes Haus besucht,
Bevor er eintritt, mit Manier
Erst klopfet an die Stubentür.

Bei solchem alten guten Brauch
Will bleiben heut der Dichter auch;
Und da er selbst nicht kommen kann,
So glaubt er, daß in dir den Mann,
Den rechten, er gefunden hat
Zu klopfen hier an seiner statt.
Um kurz und bündig mich zu fassen,
Er will durch mich dich bitten lassen:
Zu seinem Spiel sollst ohne Zagen
Einleitend den Prolog du sagen!

Till
Was? Wie? Meint ihr, ich sei verschroben?

Ich soll euch einen Garten loben,
Und weiß nicht, was darinnen wächst;
Ich soll euch predigen ohne Text,
Soll machen ohne Wild den Jäger
Und ohne Trupp den Trommelschläger!

Der Herr Poet laß mich in Ruh!
Ich spiel nicht gerne blinde Kuh.

Merkur
Mein Gott, was für Bedenklichkeiten!

Wie fremd bist du den neuen Zeiten!
Als ob die guten Rezensenten,
Was sie bekritteln, stets verständen!

Doch um dir's recht bequem zu machen,
Nimm diese Maske, die zum Lachen
Einst das Athenervolk erregte,
Daß Beifallssturm die Luft bewegte!

Von diesen kalten Lippen quollen
Die Rhythmen einst, die schönen, vollen,
In der entzückten Menge Ohr,
Wenn ernsten Spruchs eintrat der Chor.

Des Witzes reicher Strom entsprang
Lebendig schäumend hier, es drang
Hervor in ungedämmter Flut
Der Laune stolzer Übermut.

Nimm! dieser weitgeschlitzte Mund,
Er macht des Dichters Willen kund.
Was er erstrebte und vermied,
Das meldet ein daktylisch Lied.

Till
Nun gut! Es komme, was da will!

Merkur
(reicht ihm eine antike komische Maske)

Leb wohl, Improvisator Till!

Till
(allein; er tritt in das Proszenium)

Mein hochverehrtes Publikum,
Ich grüße dich! Du weißt, warum
Mit frischem Wort ich mich erkühne
Hier aufzutreten auf der Bühne.

Zwar scheint mir schlecht gewählt die Zeit
Zu Mummenschanz und Lustbarkeit.
Wenn grün der Wald, der Himmel heiter,
Dann wird das Herz uns froh und weiter,
Und was in rauhen Wintertagen
Wir gern gesehn mit Wohlbehagen,
Wir lassen's ruhn im engen Haus;
In's Freie strebt der Sinn hinaus.
Für mich jedoch und für mein Wort
Ist diese Maske sehr am Ort.
Ich will mich herzlich gern bequemen,
Dies fremde Antlitz anzunehmen;
Denn wenn mein Spruch euch nicht beleidigt,
So ist die Maske schnell beseitigt;
Doch werd ich keines Beifalls froh,
Dann bleib ich fein inkognito;
Und hätt's der Dichter gut bedacht,
So hätt' er's ebenso gemacht.
(durch die Maske sprechend)

Nicht um Possen zu reißen und nicht zu flüchtiger Kurzweil Gibt der Dichter sein Werk. Ernsteres hatt' er im Sinn. Und was euch tändelnd erscheint, er erfand's mit gefalteter Stirne; Lächelnd verkündet sein Mund, was ihn im Herzen gegrämt. Schaut ihr aus leuchtendem Golde geformt die glänzende Schale, Nimmer gedenkt ihr der Müh, die es im Schachte gewann, Denket der Hände nicht mehr, die emsig aus tiefer Umnachtung Lichtwärts sandten den Schatz, dessen das Aug sich erfreut. – Wertlos scheinet der Witz, wenn tieferen Sinns er ermangelt, Und nur, ein eiteler Geck, selbst sich im Spiegel begafft. Gern auf ländlichem Pfad begegnet der eilende Wandrer Blumen des Feldes, und pflückt auch sich zum Schmucke den Strauß; Aber mit sinnendem Blicke verweilt er, sobald er erkannt hat, Daß in dem duftenden Kelch heilende Kraft sich verbirgt. So auch möge der Scherz als kräftige Blüte gedeihen, Und um der Wahrheit Kern schling er ein zierliches Blatt!
(Die Maske abnehmend)
Die Narrheit und die Weisheit sind Von Urbeginn Geschwisterkind. Wer ist's, der mir die Grenze nennt, Die Törichtes von Klugem trennt? Wir alle tragen Schellenkappen. Minerva führt dasselbe Wappen In ihrem Staats- und Kammersiegel, Die Eule, wie Till Eulenspiegel. Unnötig war's für solche Sachen, Mit Distichen sich breit zu machen. Doch eins räumt ihr gewißlich ein: Der Dichter muß ein Doktor sein, Weil er die Pillen, die er reicht, Mit Honig sorgsam erst bestreicht.
(Er nimmt die Maske wieder vor)

Nimmer mit höhnendem Spott in der Wissenschaft Tempel zu treten Hat er gewagt, und mit Scheu ehrt er das Priestergeschlecht, Welches in heiligem Ernst das Palladium deutscher Gesinnung Sorgend bewahrt; doch gern gibt dem Gelächter er preis Jene Afterpropheten, die mißverstehend den Meister Frech in bombastischem Klang bergen den nüchternen Sinn.
(Ohne Maske)

Ein klein Geschichtchen will ich hier Erzählen. Ihr erlaubt es mir!
Ein Mann, ein Freund vom Sonderbaren, Hat ohnlängst folgendes erfahren. Ihm kam die Lust, sich einen Affen Als Stubenburschen anzuschaffen. Jüngst ging der Mann nun einmal aus, Und ließ das Tier allein zu Haus; Der Affe aber dachte: »Gut! Hier liegen Stiefel, Rock und Hut! Ich hätte längst schon einmal gern Gespielt, wie er, im Haus den Herrn!« Nun eilt er sich und zwängt und reißt Und zerrt und zieht und drückt und beißt, Bis endlich völlig angekleidet Im Spiegel er Gesichter schneidet. Doch kläglich sah er aus, der Tropf! Den Stiefel trug er auf dem Kopf, Die Arme in den Hosen d'rein; Im Ärmel stak gezwängt das Bein. Er selber zwar gefiel sich sehr Und meinte, wunders, wer er war; Doch als er nun Versuche machte, Umherzugehn, o weh! da krachte Bald hier die Naht, bald wieder dort. Er stolpert, fällt in einem fort, Stößt sich an Tisch und Stuhl und Bank, Schlägt Spiegel ein, zerbricht den Schrank, Bis endlich blutend und zerschunden Sein Herr am Boden ihn gefunden.
So ging's und geht's zu allen Tagen, Wenn Affen fremde Kleider tragen.
(Mit der Maske)

Fern auch lag es dem Dichter, den einzelnen hart zu verletzen; Aber der Gattung erklärt gern er den plänkelnden Krieg. Derberen Witzes bedarf das aristophanische Lustspiel; Nur der verleumdende Spott schleicht auf den Zehen einher, Und auf geglättetem Boden, sie nennen's, der guten Gesellschaft, Reicht er mit lächelndem Mund stechende Rosen dem Freund!
(Wie früher)

Hätt ich dies früher nur gewußt, Ich hätte recht mit voller Lust Den gröbsten Helden in dem Stück Gespielt und, wie ich glaub, mit Glück; Denn all das Bücken, Schmeicheln, Schwänzeln, Das Tellerlecken und Scharwenzeln, Ich könnt es nie zu Dank besorgen. Nun komm ich heut nicht, komm ich morgen!
(Mit der Maske)

Ja, wie hofften wir fromm, das glücklichste Völkchen der Erde, Als wir den Fortschrittsweg glaubten geebnet vor uns! Alles wurde da reiflich erwogen, demütig erbettelt, Und dann aufs neue bedacht, wieder erbettelt aufs neu'. Das war alles gar schön! doch ist mittlerweilen die Freiheit Theoretisch ergraut, praktisch ein lallendes Kind. Endlos wurde gewälzt sisypheischer Stein der Erörterung.
Und was habt ihr erlangt? –
(Die Maske abreißend)

Wozu die Maske? Sie erschwert Es nur, dem Herzen Luft zu machen. Dies Versmaß ist mir zu gelehrt. Ein deutsches Maß für deutsche Sachen! Ein deutsches Maß, den klaren Wein Der Wahrheit recht hinein zu gießen! Und mag der Trank auch bitter sein, Gesunden Sinn darf's nicht verdrießen. Ihr seid ein Volk von Wiederkäuern, Geduldig wie die Lämmerchen, Gewohnt das alte Lied zu leiern In Kammern und in Kämmerchen! Gut dreißig Jahre sind vergangen, Seit ihr um Freiheit suppliziert; Und neu wird morgen anfangen, Was heute euch zu nichts geführt. Der Beifallssturm wird wieder wehen; Adressenflut von Süd und West, Und will's zuletzt denn gar nicht gehen, Ein höflichst schriftlicher Protest! Dann liegt das Recht verbrieft, besiegelt, Und füllt im Aktenschrank die Bände; Die Kammertür wird zugeriegelt, Und die Komödie hat ein Ende. Entwicklung! Du bequemes Wort, Wenn's nur nicht so verwickelt wäre! Das geht so still und langsam fort, Wie das Lavieren auf dem Meere. O Theorie, du harte Nuß! Du bist unendlich schwer zu fassen; Der goldnen Freiheit Praxis muß Weit leichter sich begreifen lassen. Eins aber habt ihr jüngst erkannt: Wurst wider Wurst! die alte Sitte. Man gibt euch nichts; fest zu die Hand! Nichts geben ist die beste Bitte. Und läßt man euch nach Hause gehen, Kann mir nichts, dir nichts es geschehen.
(Mit der Maske)

Dennoch ist groß die Zeit und bedeutsam! Der Engel der Menschheit Schwingt sich auf leuchtender Bahn mächtigen Fluges empor. Schlummernde Kräfte erwachen; sie ringen nach voller Entfaltung, Und durch die Wolken des Sturms dringt der belebende Tag. Aber der Schwindel erfaßt auch die Kämpfenden; arge Verblendung Hüllt sie in tiefere Macht; eines vor allem zumeist, Jene Begierde nach Gold und die Sucht nach Genuß, die im Taumel Selbst das Gemeinste ergreift, weil sie den Himmel vergaß. Solches erkannte der Dichter, als muntere Rhythmen sich fügten, Und durch das scherzende Lied klingt ihm der ernstere Ton.
(Die Maske abnehmend)

Jetzt ist's genug; denn mir wird bang: Zuletzt wird der Prolog zu lang. Dieweil euch nun, so gut es geht, Allhier erlustigt der Poet, Will ich die lieben deutschen Gauen Nach langer Frist einmal beschauen. Wenn gleich dies Spiel damit begann Herauszurufen einen Mann, Ich hoff nicht, daß es damit endet, Daß ihr euch pfeifend heimwärts wendet.
(ab)

...
...


Dreizehnter Auftritt

Flunkerton
steigt in das Schiffchen des Luftballs.

Die Chöre

erscheinen auf der Bühne. Alle reiten auf Steckenpferden. Sie wenden sich, sobald sie gesprochen haben, nach dem Hintergrunde, und händigen jenem ihre Barschaften ein, welche derselbe sorgfältig einpackt. Dann ordnen sie sich rechts und links zu beiden Seiten.

Amtmann
mit zwei Geldsäcken und
Chor der Bürger

Chor der Bürger

Du Wunderland, Schlaraffenland,

Wir ziehen dir entgegen!
Dort kann man sonder viel Verstand
Des lieben Leibes pflegen.

Amtmann

Wenn uns der Mann nicht hat betört,
So ernt' er großes Lob ein!
Dort oben will ich ungestört
Recht exemplarisch grob sein.



Chor der Bürger



Wir kümmern uns dort oben nur
Um Braten, Wein und Trüffeln.
Die Freiheit hoch! Dort darf Zensur
Die Schüsseln nicht beschnüffeln.



Amtmann



Vertreibt euch, wie ihr wollt, die Zeit!
Doch eins nicht zu vergessen:
Ich bin als eure Obrigkeit
Der Erste bei dem Essen.



(Zu Flunkerton)

Heerführer, he! Dort jener Luftball, sprich, wozu?


Flunkerton

Er dienet als Bagagewagen auf der Fahrt.

Leicht müßt ihr sein, sonst tragen euch die Pferdchen nicht.



Chor der Begriffsritter

Endlich naht der große Tag,

Wo es uns gelingen mag
Unsrer Meister Lehren
Glänzend zu bewähren!



Die Gräulichen



Gräßlich ist vom Durst geplagt
Stets der Mond, wie Hegel sagt;
Darum söff er täglich
Aus dem Meer unsäglich.



Dieses nun mit anzusehn,
Wollen wir jetzt selber gehn,
Und auf solche Weise
Lohnt sich unsre Reise.



Die Bläulichen



Was der unsre uns vertraut,
Daß der Mond massiv gebaut
Sei aus Silbererzen,
Nahmen wir zu Herzen.



Jeder bringt ein tüchtig Stück
Auf die Erde sich zurück,
Und mit neuen Gulden
Zahlet man alte Schulden.



Chor der Romantiker


(als Barden gekleidet mit goldenen Harfen)



Von dem ungeheuren Zuge
Kam die seltsamliche Kunde
Auch auf unsre Sängerburgen.
Uns verließ alsbald der Schlummer


Und die schweigsam träge Ruhe.


Abenteuer aufzusuchen,


Ziemt dem echten Dichtermute.





Um dem Selenitenbuben


Und der Mondsbewohner Jugend


Dort zu nah'n mit ernstem Gruße,


Haben wir uns umgebunden
Falsche Bärte, und es fluten
Zu den Fersen uns herunter
Ernsten weiten Faltenwurfes
Die Gewänder, wie sie trugen Einst die Barden. So vermummet Wollen wir im Dichterschmucke Uns erholen von den Wunden, Die uns die Kritik hier unten Hat geschlagen, garstig blutend, Denn im Monde gibt es Schluchten, Tief an achtzehntausend Fuße, Steil gesenkte, nächtig dunkle. Um dem Abgrund alte Buchen Ächzen Mitternachts im Sturme. Zischend aus verschlungnen Wurzeln Fährt die Schlange. Wilde Ure Kämpfen brüllend an dem Ufer Dunkler Wasser, und hinunter Rasen sie in wildem Sturze In die Tiefe. Heisern Rufes Schreien Adler nach dem Blute. Auf dem schwarzen Felsengrunde Liegt der Drache; giftig funkeln Seine Augen; fest umschlungen Hält er eine Felsenkuppe Mit dem Schweife; gelbe Gluten Schnaubt er aus dem Riesenmunde.
Dort nun, wenn das lästig bunte Tageslicht erlischt, zur Stunde, Wenn die Geister machen Runde, Wollen wir hinab zum Grunde! Ja, wir wollen all hinunter! Und wir schaffen graus'ge Wunder Echter Dichtung, kerngesunder, Nichts von dem Tendenzenplunder Euch herauf dann, frisch und munter; Namentlich, wenn hier auf Erden Die Kritik wir lassen werden.
Chor der Dramatiker(mit türkischer Musik)
Ratatschin! bumm! bumm! Das Geschäft der Übersetzer Ist gewaltig übersetzt; Darum wollen nach dem Monde Auch wir übersetzen jetzt! Ratatschin! bumm! bumm! Scribe nennt sich unser Vater, Scribler unser ganz Geschlecht. Aufgewärmte alte Schüsseln Machen wir aufs Neu' zurecht. Ratatschin! bumm! bumm! Will man gar uns nun verachten Das französische Ragout; Für den Mond ist's etwas Neues, Und sie schnalzen dort dazu. Ratatschin! bumm! bumm! Und die Seleniten fliegen! Ei, wer weiß, das bringt uns Glück! Wir verfassen Lufttragödien, Ein geflügelt Kassenstück. Ratatschin! bumm! bumm!
Unendlicher Chor flötender Lyriker
Einer
Mondbeglänzte Zaubernacht, Die den Sinn gefangen hält, Wundervolle Märchenwelt, Steig' auf in der alten Pracht!
Der Chor
Alles haben wir besungen: Sonne, Wonne, Triebe, Liebe. Wenn uns etwas übrig bliebe, Wäre bald der Reim gelungen; Aber ach! mit tausend Zungen, Wenn die frische Flur erwacht, Trällern wir von Frühlingspracht. Ganz verbraucht sind Busch und Quelle, Abgenutzt sogar die helle, Mondbeglänzte Zaubernacht.
Kaum ist noch es zu ertragen, Dieses Feilschen, dies Geplapper! Räderschnurren und Geklapper! Kann die Nachtigall da klagen? Nur polit'sche Tagesfragen Sind's, womit man noch gefällt. Der nur ist der Mann der Welt, Der mit Toben keck beschuldigt, Und der neuen Mode huldigt, Die den Sinn gefangen hält.
Um erbärmlich nicht zu enden In poet'schen Hungersnöten, Müssen wir mit Reim und Flöten Jetzt uns nach dem Monde wenden. Dort mit singbar neuen Spenden Ist die Zauberflur bestellt. Jeder, der sich uns gesellt, Und zu singen Lust hat, freue Sich einstweilen auf die neue Wundervolle Märchenwelt!
Leb denn wohl, du Mondenschimmer, Abgelebter Musenfreier! Unser Lirum-larum-leier Tönt in deinem Strahle nimmer! Dort in das Poetenzimmer Blickt in stiller Sommernacht Dann die Erde, süß erwacht. Alter Reime frisches Schwirren, Veilchenduft und Taubengirren Steig auf in der alten Pracht!
Michel

Wie das Volk da lärmt, als gehör ihm die Welt zu Lehn und in erblicher Pachtung, Daß des denkenden Mannes vernünftiges Wort kaum findet Gehör und Beachtung! – Ein gefährliches Ding ist der Hunger gewiß! Ja ein Untier, nagend und gierend, Das der Mann an der Spree einst trefflich erklärt: »als mich selbst in mir selber negierend«; Wie die Sättigung auch nichts anderes sei, als »die wiedergefundene Einheit Meiner selbst mit mir selbst«, wenn ich »opfernd das Ding«, sie erhalte zu früherer Reinheit. Da nun jeglicher will, daß Deutschland jetzt sei ein einiges, ganz ohne Spaltung, So erkennt man gewiß patriotisch Bemühn, wenn ich sorge für Leibeserhaltung.
Chor der Touristen

Sich in die Luft zu erheben, Rasch durch die Länder zu schweben, Muß doch auf Erden ein Herrliches sein! In die geheimsten Gemächer Blickt durch die Luken der Dächer Man wie der hinkende Teufel hinein. Was sie da schmoren und kochen, Wird dann am Schornstein gerochen, Fettes und Saures und Schinken und Kraut. Ob sie Perücken und Zöpfe Tragen, ob glatzige Köpfe, Wird von da oben am besten erschaut. Um uns nun Flügel zu kaufen, Ziehen auch wir mit dem Haufen Fort in das Wunder verheißende Land; Wenn wir das Reisebeschreiben Dann erst im Fluge betreiben, Fällt wie vom Himmel manch luftiger Band.
Chor der naiven Bettinen

Ich ziehe mit, Ich halte Schritt. Warum, ich weiß es selber nit! Weil's eben gar Zu sonderbar, Ist's auch poetisch, offenbar! Zum schwanken Zweig Der Tanne steig Ich dort im Mond empor sogleich. Mir ist's, ich wär Ein Vöglein sehr; Die Beinchen baumeln hin und her.
Chor der Jesuiten

Man glaubte jüngst uns bei den Toten. Seid ohne Sorg, wir leben zäh! Mit leisem Schritt, auf Katzenpfoten Sind wir beständig in der Näh.
Es schien uns immerdar das Beste: Man nimmt den Finger, drauf die Hand Und drauf den Arm, und mit dem Reste Dann hat man keinen schweren Stand.
Im lieben deutschen Vaterlande War alles schon im rechten Zug. Wir brachten wohl das Ding zustand; Wir machten's wahrlich fein genug.
Als Lehrer hier und dort als Tröster (Man drückt sich durch, wie's gehen mag), Wir bauten erst die kleinen Klöster, Die großen sollten später nach.
Im Baiernland, uns jüngst so teuer, Verloren scheint dort unser Spiel. In Rom selbst ist's nicht ganz geheuer; Der neue Papst reformt zu viel.
Ein kluger Vater sorgt beizeiten, Und unsre Väter, kluge sind's; Drum ist's nicht übel, mitzureiten Nach der lunarischen Provinz.
Kann sich im Mond einmal erschleichen Ein Viertel nur die Klerisei, Dann wird nicht lange Frist verstreichen, So kriegt sie auch die andern Drei.
Der chinesische Missionsverein zu Kassel

S'ist in Kassel desperat! Hätten wir nur erst Chinesen! Doch die Kerle in der Tat Sind noch nie so rar gewesen.
Trifft man endlich einen an, Dem wir lange auf schon paßten, Ist der Bursch von Porzellan Oder gar gemalt auf Kasten.
Der deutsche Michel

Nehmet mich, den deutschen Michel, Mit in eure neue Stadt! Das Berliner Witzgestichel Bin ich endlich müd und satt.
Flunkerton

Ist alles nun geordnet? Jeder auch zu Pferd?
Amtmann
Im Bügel sitzen alle und im Sattel fest.
Flunkerton
Nun wohl, so seid gewärtig jetzt des raschen Flugs! Mit Staunen wird erfüllen euch, was nun geschieht.
Der Gesamt-Chor

Leichter Sinn und frisches Hoffen Legt den Stab in unsre Hand, Und vor unsern Blicken offen Glänzt ein neues Vaterland. Reicher Segen Strahlt entgegen Uns an diesem Freudentag. Endlich ist es eingetroffen, Was in trüber Ferne lag.
Aber doch, indem wir scheiden, Füllt mit Tränen sich der Blick, Und die jüngst entschwundnen Leiden Scheinen kaum noch Mißgeschick. An der alten Heimat halten Zauberbande uns zurück. Wahrlich, der ist zu beneiden, Dem zu bleiben gönnt das Glück!
Nicht die Furcht, weil wir es wagen, Regt sich in beklommner Brust. Nein! der Schmerz, den wir getragen, Und die Zeit vergangner Lust Ziehen leise Nach dem Kreise, Wo so vieles Teure blieb. Selbst das Leid aus fernen Tagen Wird dem Herzen wert und lieb.
Noch ein Lebewohl dem Herde, Wo als Kinder wir gespielt, Wo die Mutter uns belehrte, Kosend uns der Vater hielt! Jenen Räumen, Wo in Träumen Sich das Leben uns erschloß, Und der Morgen das verklärte Frührot auf die Pfade goß!
(Während der letzten Strophe erhebt sich der Luftball mit Flunkertonallein langsam empor, bis zur halben Bühnenhöhe)
Michel

Jü! Jü, mein Pferd! – Zum Teufel, Sir, ihr fliegt allein, Und angewurzelt stehen wir am Boden hier!
Flunkerton(aus der Höhe)

Mir lacht das Herz im Leibe recht, wenn ich hinunterschaue. Wie ich an diesem meinem Werk mich freue, mich erbaue! Da stehen nun die Narren all, so albern, voll Erwarten, Und Kopf an Kopf so dicht gedrängt, wie Kohl in einem Garten! Jawohl, ein Garten ist's, ein Feld! Drin wuchert, wie in Ranken, Unnützes Unkraut überviel an Träumen und Gedanken. In Blüten steht der Torheit Baum, jahraus und -ein bewundert, Die Klugheit, wie die Aloe, kaum einmal im Jahrhundert. Ihr erntet jetzt die Früchte! Hört! Ich sag's, ihr seid betrogen, Und was vom Mond ich euch erzählt, das alles war erlogen! Es waren Ammenmärchen nur, recht alte, abgeschmackte! – Und dann, was wollen Leute dort, wie ihr, so ganz abstrakte? Ihr lebt an tausend Jahre schon in diesen deutschen Landen, Und habt zu Recht zu finden euch bis jetzt noch nicht verstanden. Wenn gar ich nun mit eurem Geld mich auf der Fahrt beschwere, So zieht das Philosophenvolk sich leicht daraus die Lehre: Das Gold ist eitel! Nimmer ziemt's, um eitlen Tand zu klagen! Den äußern Mangel kann mit Lust, wer innen reich, ertragen! Lebt klug! doch eh ich weiter flieg mit voller Segelschwellung, Hab ich vom Dichter noch ein Wort für jene zur Bestellung!
(Zu den Zuschauern)

Wenn gefesselt zur Seite das Schwert auch ruht, Wenn die Trift nicht qualmt von der Feinde Blut, Sind es ruhige, friedliche Zeiten? Und erdröhnt auch im Feld kein Rossegestampf, Und schwebt auch um brennende Hütten kein Dampf, So ist rings doch ein Kämpfen und Streiten.
Laut schallet nach Freiheit ein dürstender Schrei, Und es eilen die Freunde gerüstet herbei, Sich um heilige Banner zu scharen; Und sie tragen als Waffen das schneidende Wort, Sie beschirmen der Wahrheit goldenen Hort Und sie trotzen mit Mut den Gefahren.
Doch hütet euch wohl! Denn ein Dämon der Nacht, Aus finsterer Tiefe verderblich erwacht Die Begierde nach gleißendem Golde, Sie verlocket das Auge, verblendet den Sinn, Sie opfert das Höchste dem schnöden Gewinn, Wie die Lorelei wirbt sie, die Holde.
Da sinkt aus der zitternden Rechte das Schwert; Gleichmütig verlaßt ihr den heimischen Herd, Nach goldenem Vließe zu jagen. Wohl prunkt ihr mit Liedern der Freiheit so gern, Und beachtet doch nicht, wie der schlimmste der Herrn Euch in schmähliche Ketten geschlagen.
(Er fliegt ab)
Chor

Wehe! Wehe! In die Höhe Ist der Schurke fortgeflogen. Garstig hat er mich betrogen. Arge Bosheit! Satansstücke! Und die blanken Guldenstücke, Ob ich je sie wiedersehe? Wehe! Wehe!
Amtmann

Was hilft das Jammern? Hättet ihr euch klug, wie ich, benommen, So dürfte jener Flunkerton, wohin er wollte, kommen. Mein liebes Geld liegt wohlverwahrt daheim, und bleibt das meine, Und was der andre mit sich schleppt, sind schlechte Kieselsteine.
Ein Diener (tritt auf)
Herr Amtmann, endlich find' ich euch! Ich bring euch schlimme Kunde. Faustida, euer Töchterlein, vor einer guten Stunde, Ist sie mit jenem Flügelmann gegangen in das Weite; Sie nahmen mit sich alles Gold und Silber und Geschmeide.
Amtmann
Daß Gott erbarm! Mein Geld! Mein Geld! Die Tochter könnt' ich missen. Zu plündern selbst die Obrigkeit! Der Mensch hat kein Gewissen!
Chor

Wehe! Wehe! In der Höhe Als ein Pünktchen schwebt er oben. Wie ein Traumbild ist zerstoben Dieses Bierpastetenleben! Will kein Windstoß sich erheben, Daß er ihn herunter wehe? Wehe! Wehe!
Michel

Des Amts entsetzt, des Gelds beraubt, es ist zum Desperat-Sein! Von nun an will ich aber auch ein Ultra-Demokrat sein!
Amtmann
Ich armer Mann! Was fang ich an, um zu Kredit zu kommen? Nichts ander's bleibt mir übrig mehr: ich gehe zu den Frommen!
Michel(zu dem Gesamt-Chor)

Am Quell der Wahrheit, wo ihr oft in guten Tagen euch gelabt, Und zur Erholung manchen Trunk der reinsten Lust geschlürfet habt, Dort findet ihr in böser Zeit gewißlich Trost und guten Rat, Wenn euch, wie Philosophen ziemt, die Weisheit Freund ist in der Tat. Und Freunde, die erprobt man nur, wenn dräuend uns das Schicksal grollt; So wird's auch bald erweisen sich, wes Lehre Tombak, wessen Gold. Drum will ich euch verkünden nun, wie ich betrachte unser Weh Dem Denksystem gemäß, das jüngst noch einzig herrschte an der Spree. Er, sitzt der Ärger und der Zorn gemeinlich in der Leber tief, Wie jedermann bemerken kann, dem eine Laus darüber lief. Die Leber aber wissen wir, wie unser hoher Meister lehrt, Ist »das Prinzip, das vom Komet sich ins Lunare hat gekehrt«; Und da zum Monde allesamt wir gehen wollten eben jetzt, So folgt, daß eben alle wir uns großen Nöten ausgesetzt. Ja, glaubt es, oder glaubt es nicht! Wir waren eben in Gefahr In Lebern zu verwandeln uns, in Lebern wir, mit Haut und Haar. Ihr wisset wohl, wie Hegel auch die Leber noch »die Hitze nennt Des Seins für sich«, »den Zorn sodann, der gegen Anderssein entbrennt«; Es werde diese Glut »gelöscht am eh'sten durch die Lungen auch«. So singt zum Schluß, wie's ohnedem verlanget der Komödienbrauch! Ja, singt ein Lied, das stolz empor auf rasch beschwingtem Rhythmus eilt! Dann wird die Leber abgekühlt, die Brust befreit, das Herz geheilt.
Der Gesamt-Chor

Du gepriesenes Land des germanischen Volks, wie bist du vor andern gesegnet, Daß der schwelgende Blick ringsum auf der Flur nur des Reichtums Fülle begegnet! Tief beuget die köstliche Ähre den Halm, und die Saaten, die goldenen, wogen, Und heimwärts schwankt die erfreuliche Last, von stampfenden Rossen gezogen. Da gedeihen erquickliche Früchte genug, frisch glänzend in dunkelem Laube, Und es träuft, auf sonnigen Hügeln geglüht, uns der Wein aus köstlicher Traube. Breit rauschen die herrlichen Ströme hinab, nach dem Meere in Eile gewendet, Von dem Kiele gefurcht, der Schätze uns bringt, von entferntester Zone gesendet. Ehrwürdig im Schmuck der vergangenen Zeit, sich erfreuend gemeinsamen Bandes, Viel blühende Stadt am Ufer entlang und zerstreut auf der Fläche des Landes! Und allorts lebet ein kräftig Geschlecht von Männern, geübt in den Waffen Und vertrauenden Sinns, voll edelen Muts und zu rühmlichen Taten geschaffen. Was beharrender Fleiß in Gewerben vermag, wird von kundigen Händen gestaltet; Wie kaum vordem hat frisch sich die Kunst zu der prächtigsten Blüte entfaltet; Um des Wissens Altar stehn Priester geschart, von heiligem Ernste durchdrungen; Manch herrliches Lied aus begeisterter Brust ist jüngst noch den Sängern gelungen. Du gepriesenes Land des germanischen Volks, wie bist du vor andern gesegnet, Daß der schwelgende Blick ringsum auf der Flur nur des Reichtums Fülle begegnet! Und dennoch sind wir Bettler! Es fehlt uns das Höchste, was Menschen erstreben. Uns fehlet die Freiheit! Es fehlt uns die Luft und das innerlich atmende Leben, Das den Busen erwärmt und den Pulsschlag hebt und zu tüchtigen Taten den Mut gibt. Hier lohnt sich der Kampf! Hier ring' um den Preis, wer der Menschheit heiligstes Gut liebt! Und die Freiheit des Worts und die Freiheit des Rechts und die Freiheit in Denken und Glauben, Wer fühlt sich da mächtig und herrschend genug, sie uns ewig und immer zu rauben? Wer fühlt nicht Kraft zu beharrlichem Kampf und Kraft, den Besitz zu bewahren? Drum haltet am heimischen Herde getreu, als ein einiges Volk in Gefahren! Was zieht ihr hinaus durchs brausende Meer, um des Urwalds Dunkel zu lichten, Und fällt am Missouri die Zeder, am Strand des Ohio die ragenden Fichten, Als lägen die Ufer der Elbe, des Rheins und die andern in geistiger Helle! Hier schwinget die Axt; denn es wächst das Gestrüpp und das Dickicht in wuchernder Schnelle!
Amtmann

Gar schön ist, was ihr eben jetzt uns hergesagt; Doch haben and'res auszuführen wir vorerst. Nicht zur Entscheidung wurde das Begriffsturnier Gebracht am Morgen; unvergeben liegt der Preis.
Michel
Der Mann hat recht, und diesmal folg' ich seinem Rat. Ins Reine kommt ihr mit der Freiheit nimmermehr, Bevor ich richtig festgestellt des Drecks Begriff.
Chor
Wohlauf zum Streit! Zum Markte ziehet dicht geschart, Zu schauen, wer im Nüsseknacken Meister ist! Und wer im Kampf den Gegner tüchtig dort zermalmt, Der nehme Platons Nußzermalmer heim als Lohn!
(Alle reiten auf ihren Steckenpferden ab)
(1843, 1847)




















Struwwellpeter























Zappel-Philipp












































2





















































3


































Der Fliegende Robert

















































































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3













































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